Die Macht psychischer Gewalt

Grausam: Wie Worte Leben vernichten

Feigling. Betrüger. Versager. Fette Sau. Bitch. Schwuchtel. Ein Wort kann ein Faustschlag sein. Über Gewalt reden, ist zumeist die Assoziation mit körperlicher Gewalt. Psychische Gewalt wird von vielen als lediglich gewalttätig empfundenes „Phänomen“ schwacher Menschen, die sich nicht wehren oder selbst schützen können, abgetan. Dabei sind Worte Waffen. Sie können beleidigen, verleumden, demütigen, erniedrigen – zerstören.

Wir leben im Zeitalter der Kommunikation, des Internets, sind Teil einer modernen Mediengesellschaft. Da gibt es notorische Lügner, Allmachtsphantasten – sie können und wollen mit gezielt gestreuten Intrigen, gepushten Nebensächlichkeiten oder dilettantischer „Recherche“ Ansehen und Ehre eines Menschen zerstören. Intellektuell minderbemittelte Kommentatoren in den sozialen Medien, glauben, unbehelligt ihre Worte wie Giftpfeile auf alles und jeden schießen zu können.

Nirgends wird soviel gelogen, diffamiert, gepöbelt, gemobbt, beleidigt und gelästert wie in den „sozialen“ Netzwerken. Öffentliche, mediale Rufmordkampagnen lassen sich dort aus Sicht der Peiniger am leichtesten etablieren. Sie infiltrieren subtil und heimlich das engste Umfeld, sie hetzen, lügen, intrigieren, heizen auf und diffamieren oft anonym. Zu feige, es öffentlich zu tun, zu asozial um an die Konsequenzen für andere zu denken.

Shitstorm, der: Was ist das eigentlich?

Das Wort wird zusammengesetzt aus dem englischen shit für Scheiße und storm für Sturm. Ein Scheißsturm also. Treffender könnte man es kaum beschreiben. Das Wort beschreibt das lawinenartige Auftreten negativer Kritik gegen eine Person (oder ein Unternehmen, eine Institution) im Rahmen von sozialen Netzwerken, wie Twitternachrichten, Facebook-Meldungen, Blogs oder Kommentarfunktionen von Internetseiten bis hin zur Schmähkritik.

Im Duden wird der Shitstorm als „Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht“ definiert. Im kurzem Zeitraum erfolgt hierbei eine große Anzahl von kritischen Äußerungen, die zum größeren, mitunter überwiegenden Teil vom ursprünglichen Thema abgelöst und stattdessen aggressiv, beleidigend, bedrohend und attackierend ausgeführt werden.

Rufmord, der: Was ist Rufmord?

Der Ruf wird ermordet durch das Aufstellen ehrverletzender und/oder unwahrer Behauptungen über eine Person, obwohl vom Rufmörder bekannt ist, dass diese verbreiteten Behauptungen unwahr sind, zumindest hat er nicht gewissenhaft geprüft, ob sie wahr sind. Fazit: Auch diejenigen, die einfach alles, was sie über eine Person lesen oder hören weitererzählen und verbreiten machen sich zum Mittäter. Rufmord wird definiert mit „absichtlicher Schädigung des Ansehens einer Person oder Sache in der Öffentlichkeit.“ Rufmord gilt als Verleumdung, eine ehrverletzende Tatsachenbehauptung, die genau wie üble Nachrede, im Strafgesetzbuch aufgeführt ist.

Pranger, der: Was ist ein virtueller Pranger?

Ein Pranger war ursprünglich eine Stelle auf einem öffentlichen Platz, wo jemand wegen einer als straf- und verachtenswürdig empfundenen Tat angebunden stehen muss und so der allgemeinen Verachtung ausgesetzt ist.

Klatsch ist so alt wie die Menschheit selbst. Menschen haben einen Hang zum Tratschen. Das mag im kleinen persönlichen Kreis funktionieren – wobei die Auswirkungen mitunter nicht milder sind als der virtuelle Pranger. Das Internet bietet die Möglichkeit, dass viele ihrem Hang zum Mitreden, klatschen und tratschen virtuell ausleben können. Das bedeutet, der „Kreis der Wissenden“ vergrößert sich rasant und der Betroffene hat keinen Einfluss darauf, was über ihn im Netz steht.

Unsubstantiiert am virtuellen oder reellen Pranger zu stehen, hat rein gar nichts mehr mit vermeintlich harmlosen Lästern oder „über andere zu reden“ gemein. Darin liegt die Gefahr dieser Portale. Menschen werden zu einer gierigen, sensationsgeilen, nachplappernden und für die Betroffenen hochgefährlichen Masse. Aktivitäten in sozialen Medien sind durchaus mit mittelalterlichen Prangerstrafen zu vergleichen, die soziale Natur des einzelnen Menschen wird rigoros ausgenutzt, das Prangeropfer öffentlich bloßgestellt, der allgemeinen Verachtung preisgegeben, beleidigt, bestraft, diskreditiert und isoliert.

Bloßstellung, die: Was passiert dabei und danach?

Blamage, Demütigung, Schande sind Synonyme für Bloßstellung. Nach einer solchen Kampagne ist der Ruf der Betroffenen und Kritisieren oft derart beschädigt, dass sie eine gesellschaftliche Ächtung erfahren. Bloßgestellte können sich nicht wehren. Betroffene haben kaum Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren. Es gilt schon ewig, dass von anderen am Anderen festgestellte Makel als seelisch eingestanzte Gravuren im Gedächtnis der Betroffenen noch lange nachwirken. Der virtuelle Pranger bietet keine Chancen, keine Hoffnung auf Entlastung im Laufe der Zeit: Das Internet vergisst nichts, es bleiben immer digitale Spuren zurück. Ein Netz ohne Sicherung, ohne doppelten Boden. Eines, wo kein Gras über etwas wächst.

Menschen, die auf wenige und oftmals gar nicht vorhandene Verhaltensweisen reduziert und dafür verurteilt wurden, bleiben zurück. Wer solche Kampagnen initiiert oder sich daran beteiligt, die Persönlichkeit fremder Menschen zu missachten und zu verletzen, sollte sich bewusst sein, dass sie tendenziell jeden und jede treffen können – auch die auslösende Person selbst. Die Frage an sich selbst und die betroffene (vor-)verurteilte Person „Stimmt das überhaupt, was da geredet und geschrieben wird?“ soll helfen nicht zum Mittäter zu werden.

In der Öffentlichkeit ist psychische Gewalt kaum ein Thema. Dabei kann jeder zum Opfer werden. Unerträglich sind für Opfer Unverständnis und Bagatellisieren von „Freunden“, Angehörigen, Außenstehenden, Ermittlungsbehörden und Medizinern. Ratschläge oder harmloses Wegwischen „Ignoriere das doch einfach“, „Der Klügere gibt nach, lass den oder die einfach machen, hören schon von allein auf“, „Das interessiert doch keinen“ und andere Aussagen sind weder hilfreich noch angemessen.

Prominente sind im Fall einer öffentlichen Rufmord-Kampagne schnell mit einem oder mehreren Anwälten versorgt, werden teuer beraten und erzwingen entsprechende Gegendarstellungen und Löschungen. Damit ist aber – sofern es gelingt – nur der öffentliche Schein aufpoliert. Innerliche Demontage kann kein Jurist bekämpfen.

Der normale Mensch, oft sehr unerfahren, an das Gute im Menschen glaubend, vertrauensvoll und arglos, bleibt im Umgang mit subtilen, offenen, versteckten oder virtuellen Angriffen auf sich selbst oft ohnmächtig.

„Deine Eltern wären besser die 5 Minuten spazieren gegangen.“

Harte Worte mit hartnäckigen Folgen, mitunter schwerwiegender als Schläge oder Tritte. Wobei das eine so schmerzhaft wie das andere ist. Geschlagene Körper können sich sichtbar wieder regenerieren, eine geschändete Seele nicht. Die Wundheilung von Hämatomen, Schnittwunden und Prellungen ist optisch nachvollziehbar, verbale Gewalt verursacht unsichtbare Wunden. Und doch sind sie da. Bevor erkannt wird, dass die Seele Grausamkeit der Worte sichtbar macht, vergehen oft Jahre.

„Wenn ich Dein Gesicht hätte, würde ich lachend in eine Kreissäge laufen.“

Opfer psychischer Gewalt fühlen sich, als wäre die Kreissäge in ihre Seele eingedrungen. Was wäre, wenn verbale Gewalt körperliche Spuren hinterlassen würde? Würden dann die Hilferufe erhört, die Verletzungen gesehen werden?

Worte sind eben nicht nur Worte. Worte sind Waffen. Mobbing zum Beispiel, wird in der Gesellschaft auf körperliche Gewalt reduziert. Der Aufschrei ist groß, wenn Eltern ihre Kinder oder Partner ihre Partnerinnen oder andersherum misshandeln. Das Problem geht viel tiefer, denn bevor diese Menschen ihre Hand gegen jemanden erheben, misshandeln sie ihre Opfer verbal, missbrauchen ihre Seele.

Seelische Gewalt in Beziehungen

Beziehungen, in denen ein Partner den anderen dauernd demütigt, gibt es mehr als manche ahnen. Psychische Gewalt ist unglaublich massiv und schwer greifbar. Das Fatale ist, dass einzelne Vorfälle oft als harmlos und kleinen Streitereien abgetan werden.“

Systematische Unterdrückung und Misshandlung, der fortgesetzte Versuch Dominanz und Kontrolle zu erlangen, werden oft zu spät oder gar nicht erkannt. Man stelle sich vor, ein Partner stichelt gegen den anderen. Und man stelle sich vor, er oder sie tut das jeden Tag.

Als Witz getarnte Bösartigkeiten vor gemeinsamen Freunden, demotivierende Kommentare. Psychischer Terror baut sich langsam und schleichend auf. Der Täter radiert systematisch das Selbstbild des Opfers aus und ersetzt es durch sein oder ihr eigenes Bild. Ziemlich bald fühlt sich das Opfer tatsächlich hässlich, unfähig, doof, zickig, hysterisch oder frigide.

Großes Problem, wenig Hilfe: Mobbing in der Schule

Mobbing wird von Lehrern, Schulleitern und ja: auch den Eltern! viel zu oft unterschätzt. Harmlose Hänseleien, werden die Kinder schon selbst regeln, hat ja niemand ernsthaften körperlichen Schaden genommen. Eben! Den psychischen Schaden sieht niemand oder er wird verharmlost „Ach komm, die meinen das nicht so, nimm dir das nicht so zu Herzen, sei doch auch mal frech!“ Noch verheerender ist die Leugnung hinterher, wenn man sich den Vorwürfen aussetzen muss, man wäre nicht eingeschritten oder hätte Pflichten versäumt.

Hinter ungebetenen Spitznamen und Aussagen wie „Du stinkst“ oder „Du bist fett“ und – besonders perfide – als neuzeitliche Erscheinung „Du Opfer“ steckt viel mehr. Zahlreichen Pädagogen, die es besser wissen sollten, ist die Aussage „Du Opfer“ als Beleidigung nicht einmal geläufig. Nonverbales Mobbing wird zumindest irgendwann erkannt, wenn der Leidensdruck der Opfer zu hoch wird und sie sich offenbaren – in der Hoffnung auf Hilfe. Verbales Mobbing soll das Opfer zermürben und entwürdigen.

Betroffene Kinder denken, dass sie wirklich Fehler machen, dass sie anders sind und erkennen nicht, dass sie benutzt werden für Machtspiele der Täter. Kinder mobben Kinder häufig aus nur einem Grund: Andere zu demütigen und zu zeigen, sie können tun was sie wollen und niemand hält sie auf. Wenn 5jährige sagen „Du bist schwul“, wissen sie weder, was sexuelle Veranlagung ist, noch was sie eigentlich sagen. Sie wissen aber, dass sie den anderen erniedrigen.

Cyberstalking, Cybermobbing = psychische Gewalt in Internet

Das Internet ist leider nicht nur ein großartiges Informationsmedium und für viele Menschen mit seinen unzähligen positiven Möglichkeiten ein schöner Zeitvertreib. Es kann einem Menschen das Leben auch zur Hölle machen und ist ein ernstzunehmendes Problem.

Opfer von Psychoterror im Internet sollten sich über eines immer bewusst sein: Wen interessiert, was die Täter schreiben? Bei der unüberschaubaren Menge an Informationen im World Wide Web vermutlich nur das Opfer selbst. Den Betroffenen selbst geht es schlecht, wenn er oder sie diese Beleidigungen, Verleumdungen und Behauptungen lesen. Täter wollen, dass man das liest. Es gehört zu deren wahnsinniger Strategie. Sie wollen, dass man reagierst. Sie wollen, dass es dem Opfer schlecht geht – sonst wäre es kein Opfer. Sie provozieren, wollen beunruhigen, verunsichern, peinigen.

Man sollte ihnen den Gefallen nicht tun. Ob anonym oder greifbar: Stalker und Diffamierer leben von zwei Faktoren: Die in allen Menschen steckende Neugier und die damit verbundene Frage was als Nächstes kommt. Psychische Gewalttäter leben von der Reaktion, von provozierter Kommunikation. Immer, wenn das erwählte Opfer reagiert hat, ist das der Erfolg des Täters, dabei ist es völlig unerheblich für ihn oder sie, ob die Reaktion positiv oder negativ ist. Deshalb ist es auch existenziell wichtig, nicht zu reagieren – auch wenn es noch so schwer fällt. Auch Gegendarstellungen sind Reaktionen!